"Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates"?

[Christoph Hueck:]  Der Staat fühlt sich offenbar durch die abertausende von Corona-Maßnahmen-kritischen Menschen bedroht, die ihm mit ihrem Ruf nach Grundrechten, nach Frieden, Freiheit und Liebe auf den Straßen und Plätzen der Republik ihr „Mit mir nicht!“ entgegenrufen. Wie die Tagesschau unter der Überschrift "Querdenker werden nun bundesweit beobachtet" berichtet[1], wurde dazu beim Verfassungsschutz ein „neuer Phänomenbereich“ mit der Bezeichnung „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ geschaffen. Und damit der Verfassungsschutz in diesem "Phänomenbereich" ungehindert durchgreifen darf, hat man ein sogenanntes „Sammelbeobachtungsobjekt“ eingerichtet, in dem nicht mehr zwischen „Verdachtsfällen“ und „erwiesen extremistischen Beobachtungsobjekten“ unterschieden werden muss. Das erlaubt nun die Beobachtung der „relevanten Akteure“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie dem Speichern persönlicher Daten, der Anwerbung von V-Leuten und auch der Kommunikationsüberwachung. 

 

Es ist bedenkenswert, dass der Protestruf nach Wiedereinsetzung der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte als "Delegitimierung des Staates" dargestellt wird. Welche Sprache wird hier für welche "Phänomene" verwendet? Es ist eine Sprache der Macht, die einschüchtern soll, und die auf vollständiger Verdrehung der Tatsachen beruht. Gewalt gab es auf Anti-Maßnahmen-Demonstrationen nur von Gegendemonstranten. Und der berühmte "Sturm auf den Reichstag", dessen Bilder in der Presse jetzt wieder für die Diffamierung der Protestbewegung herhalten müssen, war eine vom Innensenator Geisel bewusst in Kauf genommene Aktion des bekannten Reichsbürgers Rüdiger Hoffmann, die mit der großen Anti-Corona-Maßnahmen Demonstration am 29.8. nichts zu tun hatte.[2] Ist es schließlich nicht der Staat selbst, der im Corona-Jahr zwei seiner fundamentalen Legitimationen, die Garantie der Grundrechte und die föderale Dezentralisierung der Macht, aufgegeben hat? 

 

Immerhin passt die Corona-Maßnahmen-Protestbewegung nach Einschätzung des Verfassungsschutzes "in keine der bisherigen Schubladen", insbesondere und trotz aller bisherigen Propaganda nicht in den „Phänomenbereich Rechtsextremismus“. Das bedeutet, so die Tagesschau, „dass die Proteste nach Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht von Rechtsextremisten gesteuert werden.“ Der Verfassungsschutz muss seine ursprüngliche Einschätzung für die Corona-Großdemonstration am 1.8.20 in Berlin bestätigen, dass auch damals schon kein „prägender Einfluss“ von Rechtsextremen ausging[3]. (Damit sollten nun, das sei am Rande angemerkt, eigentlich auch alle Angriffe auf Vertreter der Protestbewegung, in denen diese als „rechts“ diffamiert wurden, hinfällig sein – siehe z.B. meinen Blog-Eintrag vom 20.2.21[4]).

 

Hier geht es nicht um den Schutz des Staates und vor allem nicht um den Schutz seiner Bürger vor gewalttätigen Extremisten. Es geht darum, ein öffentliches Zerrbild der Corona-Protestbewegung zu befeuern, durch das die Leute davon abgehalten werden sollen, auf Demos zu gehen. Wer friedlich demonstriert und auf sein Grundrecht freier Meinungsäußerung besteht, wird nun auch noch zum Verfassungsfeind erklärt. Welche Karriere der Beschimpfungen, die aus Politik und Presse auf uns einprasseln: Aluhüte, Esoteriker, verantwortungslose Gefährder der Volksgesundheit, Rechtsradikale, Staats-Delegitimierer.

 

Wenn man bedenkt, mit welcher Mühe die Väter und Mütter des Grundgesetzes versuchten, der Gefahr eines übermächtigen, zentralisierten Staates durch eine unerschütterliche Garantie der Grundrechte und durch den Föderalismus vorzubauen, dann kann man nur ironisch sagen: Hier wurde ein weiteres Kapitel für das Buch "Gute Nacht, Deutschland" geschrieben.

 


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Kommentare: 4
  • #1

    Rupert Krömer (Donnerstag, 29 April 2021 23:23)

    Volle Zustimmung, lieber Christoph Hueck!
    Ich würde diese Institution allerdings nicht "Verfassungsschutz" nennen - sie schützt die Verfassung nicht mehr. Selbst "Staatsschutz" käme als neue Bezeichnung nicht in Betracht - sie schützt lediglich die Interessen einer Exekutive, die zum Platzen aufgebläht.
    All diese "Staatsdiener" hatten ihren Amtseid auf unser Grundgesetz geleistet - und nicht auf irgendeinen Vertreter der Exekutive, sei es im eigenen Amt oder in der Spitze unserer Regierung.
    Ich befürchte, unserem derzeitigen Führungspersonal ist das Wesen des Grundgesetzes ebenso wenig vertraut wie das Staats- und Völkerrecht. Vielleicht sollte man die Rechtsverbindlichkeit dieser Amtseide dahingehend thematisieren, dass ihr Missbrauch strafbar.

  • #2

    Felix Scheuerl (Freitag, 30 April 2021 12:37)

    Lieber Christoph Hueck,
    vorweg: ich schätze Ihren mutigen und klugen Einsatz in dieser außerordentlich kritischen Situation seit Anfang des- und derselben. Aber Ironie hätte ich zum schlechten Schluss nicht erwartet! "Die Lage ist ernst..." ... und ohne intensivste innere Arbeit eben doch nahezu hoffnungslos...
    Vor 100 Jahren wurde die Weimarer Republik mit Notverordnungen in den Abgrund gesteuert. Hannah Arendts Kriterien für den unaufhaltsamen Aufstieg des Totalitarismus sind längst übererfüllt. Und was den Anschein betrifft: braucht man nur statt der brachialen die strukturelle Gewalt in´s Auge zu fassen.
    Ob wir nun tatsächlich in zwei Welten OHNE deren zukunftstiftende Verbindung leben müssen, hängt scheinbar nicht länger von uns ab. Müssen wir uns im (okkulten) Untergrund finden- und den (spirituellen) Widerstand organisieren?
    Oder finden wir Freunde, deren juristische Kompetenz ausreicht, unser Heil in Europa und der EINEN Welt zu suchen; z.B. beim EGMR über eine Beschwerde oder gar beim IGH über ein Rechtsgutachten? [Und (online-) fundraising dazu könnte für viele Menschen ein Ventil sein...]
    Dies ist wirklich und wahrhaftig eine epidemische Lage von nationaler Tragweite; nur, dass der Erreger kein materielles Virus ist...
    Mit Verlaub: Deutschland muss sich m.E. nicht nur auf Grund seiner geografischen Mittellage, sondern inzwischen auch durch die historische Erfahrung eines manifesten Unrechtsstaates mit der Weltaufgabe einer menschheitlichen Rechtspflege mandatiert sehen. Recht und Gesetz sind die Grundlage aller Zivilisation.
    Und wenn auch die Klimakrise definitiv unser existentielles Katastrophenszenario zu dominieren scheint,- die Demokratiekrise beansprucht operativ ZU RECHT die not-wenige Priorität! Die blutigst im langen 19.Jh. erstrittenen und im kurzen 20.Jh. erlittenen Grundrechte dürfen nicht wieder hinter die Menschenrechte zurückdatiert werden!
    Ich grüße von Herzen -
    Felix Scheuerl

  • #3

    Andreas Deibele (Samstag, 01 Mai 2021 12:03)

    Lieber Herr Hueck,
    wahrscheinlich kennen auch Sie die Geschichte von den Wissenschaftlern, welche nur den Ausschnitt eines Elefanten sehen und diesen dann beschreiben sollen. Jeder sieht und erkennt einen Teil des Elefanten – den langen Rüssel, die dicken, mächtigen Beine, die Stoßzähne, usw. Bei der Auswertung ihrer Ergebnisse geraten die Wissenschaftler in Streit, denn jeder denkt, dass dies, was er gesehen hat, den Elefanten in seiner Gänze darstellt. Keiner der Wissenschaftler hat den Elefanten in seiner Gänze betrachtet. Vielleicht war dies den Experten auch gar nicht möglich. Der Fehler der Wissenschaftler liegt darin, Teilwahrheiten als die „ganze“ Wahrheit darzustellen. Man könnte auch sagen, die Experten leben und denken in einer Blase; denn sie lassen die Ansichten ihrer Kollegen gar nicht mehr zu.
    Ich habe lange Zeit Ihren Blog gelesen. Ich behaupte nicht, dass ich die „Wahrheit“ kenne oder die Politiker, die Wissenschaftler oder auch Sie – wir nähern uns vielleicht nur aus verschiedenen Richtungen dem Problem. Was ich aber an Ihrem Blog nicht gutheiße, ist, dass Sie auch in einer Blase leben und nur Ihre eigene Position und Ansicht als einzige Wahrheit darstellen.
    Diese Haltung finde ich der anthroposophischen Bewegung nicht angemessen, welche angehalten ist nach allen Möglichkeiten zu versuchen, den ganzen Elefanten zu sehen. Verharren Sie nicht in einer Blase und bei „Ihrer“ Wahrheit. Lassen Sie andere Meinungen zu und setzen Sie sich mit offenen Blick und Herz damit auseinander.
    Viel Erfolg dabei.

  • #4

    Detlef Loth (Samstag, 01 Mai 2021 17:36)

    Liebe Leser, im Rahmen gewisser regierungsgesteuerter, angstmachender Propaganda, die unser egoistisches Selbstbild aktiviert, können wir uns auf eine Grundrechtsdebatte konzentrieren, die von körperlicher Unversehrheit spricht. Müssen wir aber nicht. Denn wo fängt denn Unversehrheit an und wo hört sie auf? Wer mag da die Linien ziehen, wo Versehrheit beginnt und wo Unversehrheit ein allgemeines Agens wird?
    Unser großes Problem ist eine mehr oder weniger große Unschärfe in den Begrifflichkeiten und in den Weltanschauungsrichtungen, aus denen wir argumentieren. Zum Beispiel bin ich ein Spritualist und schaue auf Krankheit aus der Reinkarnationslehre. Da heraus will ich mein Recht auf Krankwerdenkönnen verteidigen, da ich davon überzeugt bin, dass ich eine Krankheitslage aufsuchen will, wenn ich Verfehlungen aus vorher gehenden Leben ausgleichen will. Dagegen steht aber eine materialistiche Anschauung von Krankheit, die einen Sinn im Krankwerden gar nicht sehen kann und nur danach streben will, möglichst ohne Krankheit durchs Leben kommen zu wollen und alles dafür tun will, was Krankheit vermeiden hilft . Beide Anschuungsrichtungen sind berechtigt, es sei denn, man verwehrt dem Anderen diese Berechtigung und setzt seine Anschauung mit Mitteln der Gewalt durch. Geht man in den Diskurs und versucht möglichst weiträumig aus verschiedenen Weltanschauungsrichtungen (es gibt deren mindestens 12!) auf ein Phänomen / Problem / Erscheinung hinzuschauen, dann erst nähern wir uns der WAHRHEIT an. Aus dieser Einsicht würde es dann ganz anders gelingen, die Fragen nach dem Umgang mit Krankheit und Gesundheit zu beantworten und sein Fühlen und Handeln danach einzurichten.
    In diesem Sinne:
    bleiben sie weit und offen und vielfältig und zugewandt
    Detlef Loth