Coronoia – mechanisches oder doch besser organisches Denken?

[Christoph Hueck:]  Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat am 20. März ca. 370.000 Tote für Deutschland vorausgesagt, falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden.[1] Das RKI schrieb, dass mathematische Modellierungen „einen möglichen zukünftigen Verlauf nur vage beschreiben“ können. Man könne jedoch die (theoretische) Wirkung verschiedener Maßnahmen auf den (wiederum theoretischen) Verlauf der COVID-19 zeigen. Soweit ganz nachvollziehbar. Direkt anschließend folgt aber ein krasser logischer Salto Mortale: „Dadurch kann … begründet werden, welche … Maßnahmen notwendig [sind], um den Verlauf der Epidemie so zu beeinflussen, dass sie bewältigbar wird. Diese Maßnahmen können von der Politik … eingesetzt werden, um den Verlauf der Epidemie zu beeinflussen.“

 

Es ist gar nicht so leicht zu bemerken: Aus einer theoretischen und „vagen“ Betrachtung wird der reale Verlauf der Epidemie und damit die Begründung von Maßnahmen, die diesen Verlauf beeinflussen sollen. Die tatsächlich sehr realen Maßnahmen, die dann folgten, sind bekannt.

 

Ähnliche Voraussagen gab es für England und USA. Am 16. März legte die Arbeitsgruppe von Neil Ferguson vom Imperial College in London eine Untersuchung vor, in der für England bis zu 500.000, für die USA 2.4 Millionen Corona-Tote vorausgesagt wurden, falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden. [2] Diese Untersuchung bewirkte die Änderung der zunächst eher freilassenden Corona-Politik in beiden Ländern.[3]

 

Nicht die tatsächlich vorliegenden und überprüfbaren Fakten (z.B. die Reproduktionszahl des Virus oder die Anzahl der freien Intensivbetten, etc.), sondern theoretische Voraussagen werden benutzt, um massive Eingriffe in das gesellschaftliche Leben zu rechtfertigen. Diese Maßnahmen richten sich nicht gegen tatsächliche Missstände, sondern gegen theoretisch befürchtete. Zwischen die Wahrnehmung der konkreten Wirklichkeit und das – wiederum konkrete – Handeln drängt sich eine abstrakte, statistische Hochrechnung, die Angst macht. Man kann in diesem eigentümlichen Verhältnis von Theorie und Realität geradezu eine Signatur der Epidemie sehen.

 

Das ist einer der vielen Gründe, warum es so wichtig ist, dasjenige Denken zu betrachten, dass der Corona-Hysterie zugrunde liegt (siehe die Blog-Einträge Coronoia in den Köpfen und Coronoia – Angriff auf die Lebenswirklichkeit).

 

Eine Möglichkeit, die Verlässlichkeit solcher Hochrechnungen abzuwägen, besteht in dem Blick auf vergangene Modellierungen. Wie gut trafen ähnliche Voraussagen in der Vergangenheit zu?

2002 warnte die Arbeitsgruppe von Neil Ferguson, dass der „Rinderwahnsinn“ BSE bis zu 150.000 Menschen töten könnte.[4] Am Ende starben ca. 200.[5]  2003 wurde aufgrund ähnlicher Daten wie bei Corona für das SARS Virus vorausgesagt, dass „Millionen“ sterben könnten.[6] Schlussendlich starben 774 Menschen, bevor das Virus wieder verschwand.[7]  2005 sagte Ferguson bis zu 200 Millionen Tote durch die Vogelgrippe voraus. [8] 440 Menschen starben.  2014 warnte eine Hochrechnung des amerikanischen Center for Disease Control vor 1.4 Millionen Ebola-Toten in Afrika.[9] Am Ende starben ca. 10.000.  Ähnlich falsche Hochrechnungen gab es für AIDS, oder auch für die Maul-und-Klauen-Seuche 2001.[10]

 

Offensichtlich sind die Voraussagen durchgängig falsch und ungeeignet, die Wirklichkeit zu erfassen. Die krasse Diskrepanz liegt daran, dass ungebremst exponentielle Epidemie-Verläufe eben nur in den Köpfen, aber nicht in Wirklichkeit stattfinden. Bei Corona sehen wir, wie auf der ganzen Welt die Fallzahlen nur am Anfang exponentiell zunehmen, dann flacht die Kurve ab und geht wieder zurück.[11] Das entspricht genau dem Verlauf einer Virusinfektion eines einzelnen Menschen. Es ist im Großen wie im Kleinen.

 

Das Denken, das exponentielles Wachstum voraussagt, ist starr, tot, mechanisch und, wenn überhaupt, dann höchstens für Voraussagen von physikalischen Prozessen geeignet. Das Lebendige – und auch die lebendige Wirklichkeit einer Epidemie – verhalten sich anders. Auch für eine Epidemie gilt, was wir schon in einem anderen Blog-Beitrag betont haben: Das Sterben, in diesem Fall der Virus-Epidemie, gehört zum Leben dazu.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Christoph Hueck

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Benjamin Wagner (Mittwoch, 29 April 2020 16:14)

    Lieber Christoph,

    vielen Dank für diesen Kommentar. Ich habe allerdings eine Anmerkung zum Thema "Nicht die tatsächlich vorliegenden und überprüfbaren Fakten (z.B. die Reproduktionszahl des Virus oder die Anzahl der freien Intensivbetten, etc.)".
    Nach meinem Wissen ist auch die Reproduktionszahl nicht mehr als eine qualifizierte Schätzung, die sich komplizierter statistischer Verfahren bedient, am Ende aber von der Testintensität und den gewählten Intervallen abhängt. Meines Erachtens handelt es sich hierbei auch nicht um "überprüfbare Fakten" , wie z.B. Anzahl der Intensivbetten (diese sind ja in Deutschland nicht gerade überbelegt und in Stuttgart wird die Behelfs-Corona Klink wieder abgebaut, ohne das je ein Patient dort behandelt worden wäre)
    Hier fällt uns gerade das Abtauchen in die virtuelle Welt gewatig auf die Füße. Es wird einfach nicht unterschieden zwischen "Infektionszahl" und klinisch kranker Person, zwischen statistischer Größe und tatsächlicher Situation des Gesundheitssystems etc.
    Es ist so wie immer: Man kann sich die Zukunft nicht vorstellen (siehe total falsche Vorhersagen in der Vergangenheit), man muss sie wollen. Dieser Wille wird leider gerade durch bewußte Angsteinflößung gezielt unterdrückt - das ist beängstigend.

    Herzliche Grüße und bis zum nächsten Eintrag
    Benjamin